Zum sozialen Pflichtdienst

Zu einem Video des ZDF-Formats "13 Fragen" zum oben genannten Thema hinterließ ich folgenden Komentar:

Ich fühle mich als Gegner sehr missverstanden von den Befürwortenden des sogenannten sozialen Pflichtdienstes und finde die Idee unglaublich dumm. Warum?:

Ich teile absolut das Streben danach, dass Menschen dazu gezwungen sind, einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Ich sehe das Ganze nur viel radikaler. Ich finde, dass absolut jeder Mensch sein gesamtes Leben nach dem Gemeinwohl ausrichten sollte. Und ich kann mich deshalb trauen, das zu sagen, weil für mich Gemeinwohl viel weiter gefasst ist als für die meisten Befürwortenden des sozialen Pflichtdienstes. Für mich ist Gemeinwohl nicht eine kleine Gruppe an speziell an marginalisierten Menschen orientierten Tätigkeiten. Für mich ist Gemeinwohl wirklich alles, was essentiell für das Überleben einer Spezies oder des Ökosystems ist. Inklusive Wissenschaft, inklusive Kunst und Satire, inklusive Innovation, inklusive Politik und Aktivismus, inklusive Landwirtschaft, inklusive dem Äußern der abweichenden eigenen Meinung und leider sogar inklusive Waffenindustrie. Wir leben in einem Ökosystem, in dem alles mit allem zusammenhängt, und deshalb gibt es keine Tätigkeiten, die dem Gemeinwohl weder nutzen noch schaden, höchstens gleichzeitig.

Wenn wir das Gefühl haben, dass zu wenig nach dem Gemeinwohl gelebt wird, dann ist die Lösung nicht, ein kleines Puzzleteil garantiertes Gemeinwohl zu schaffen, sondern dann ist die Lösung, dafür zu sorgen, dass Menschen die gemeinwohlschädlichen Dinge nicht mehr machen. Diese gemeinwohlschädlichen Dinge sollten wir einfach schlicht und ergreifend verbieten oder, wenn es Grauzonen sind, besteuern. Freiheit bis zur Nase des anderen und so. Und wo diese Steuern keine Wirkung haben, weil die Menschen unfassbar reich sind, da müssen wir ihre Vermögen und Erbschaften höher besteuern, die Löhne erhöhen, die sie zahlen, ihre Betriebe demokratisieren und was sonst noch alles für mehr Vermögensverteilungsgerechtigkeit sorgt. Wenn wir das konsequent machen, dann ist die Konsequenz automatisch, dass Menschen genug Zeit haben, um gemeinwohlorientierte Dinge zu tun, und ihr Leben mit diesen füllen wollen.

Und wenn sie auf ein paar dieser Dinge strukturell keine Lust haben, dann ist das Problem vielleicht nicht, dass sie schlechte Menschen sind, sondern dass sie das Gefühl haben, in einem anderen Bereich mehr beizutragen. Ich zum Beispiel bin ein Mensch, der sehr kreativ ist und groß denkt und gerne Systeme durch Innovation oder sozialen Fortschritt effizienter machen möchte [...], und ich habe von der Pflege nicht das Bild, dass ich das da machen kann, sondern dass ich dort nur ein kleines Rädchen im Getriebe wäre, das mental unterfordert ist, unter seinen Potenzialen bleibt und sich in Bescheidenheit üben muss. Entweder stimmt das, dann sollte ich dort einfach nicht arbeiten und der Beruf muss sich vielleicht auch selbst hinterfragen und flexibler werden, oder es stimmt nicht, dann sollte man dringend erstens die Bezahlung und zweitens die Wertschätzung dieses Berufs verbessern, und zwar wenn nötig mit öffentlichen Mitteln. Ähnliches gilt für den größten Teil des sogenannten sozialen Bereichs. Wie Hermann Hesse mal so schön scheinarrogant sagte: "Ein Beil bleibt ein Beil, und man kann damit Holz hacken oder auch Köpfe. Aber eine Uhr oder ein Barometer sind für andere Zwecke bestimmt" (Brief an einen Kommunisten, paraphrasiert).

Wer für ein Jahr sozialen Pflichtdienst in einem einigermaßen eng definierten Bereich argumentiert, hat, mit Verlaub, nicht verstanden, was sozial eigentlich für die Praxis bedeutet und aus wie viel Gemeinwohlorientierung das Handeln der Menschen dieses Planeten in Zeiten des Kapitalismus mit all seinen Schattenseiten in Wirklichkeit erwächst. Genauso wenig, wie Menschen, die das aktuelle deutsche Schulsystem gut finden, nicht verstanden haben können, was eigentlich in Wirklichkeit alles sinnvolle Bildung ist und wie man Menschen für diese begeistert. [...]